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20. Januar 2012

Film-Quickie: Überraschendes aus Deutschland

Fünf Filme aus vier Genres laden herzlich dazu ein, von euch gesehen zu werden. Zuvor lohnt aber vielleicht ein Blick auf die Rezensionen. Mich überraschten die Filme zwei bis fünf allesamt positiv, erwartete ich doch jeweils nicht allzu viel. Bei „Stone“ hingegen stimme ich den meisten Kollegen zu: Hier wurde viel Potenzial verschenkt.

Stone
Stell‘ dir vor, Robert De Niro, Edward Norton und Milla Jovovich stehen gemeinsam vor der Kamera – und keiner ist begeistert. So geschehen bei „Stone“ – trotz der beiden besten Charakterdarsteller ihrer jeweiligen Generation und der beliebten „Resident Evil“-Amazone will der Funke bei diesem Drama nicht so recht überspringen. 
An der Geschichte liegt es eher nicht. Diese erzählt von dem Sträfling Stone (Edward Norton), welcher mit allen Mitteln versucht, seinen Bewährungshelfer (Robert De Niro) davon zu überzeugen, ihn wieder auf freien Fuß zu setzen. Dabei sollen nicht zuletzt die Verführungskünste seiner Frau (für Fans des kleinen Busens auch „oben ohne“ zu sehen: Milla Jovovich) zum Ziel führen.
Der Film lebt fast ausschließlich von der Leistung seiner Darsteller und der Chemie, die vor allem zwischen De Niro und Jovovich zu spüren ist. Viele Vorgaben im Drehbuch sind hingegen zutiefst fragwürdig - etwa die Tatsache, dass Stones Frau sieben Jahre auf ihren Mann wartet, obwohl die beiden nur wenig gemein haben. Am Ende bleibt ein ruhiger, teilwiese intensiver, manchmal aber auch langatmiger und unentschlossener Streifen über mögliche Arten der Manipulation, den Fans der Schauspieler zwar getrost sehen können, der für die breite Masse aber zu wenig bietet, um ihn ernsthaft zu empfehlen.
6/10

Brüno
Der homosexuelle, österreichische Modereporter Brüno (Sascha Baron Cohen ) tritt in die Fußstapfen seiner geistigen Vorfahren Ali G und Borat. Kurzum: Er sucht sich die Fettnäpfchen aus, springt mit Genuss hinein und tollt so lange darin herum, bis der letzte Zuschauer vor Fremdscham die Hände vor dem Gesicht zusammen schlägt.
Brünos Talkshow-Auftritt mit angeblich in Afrika gegen einen iPod getauschtem Baby ist da nur ein Tabubruch von vielen. Alles in Cohens drittem Spielfilm ist hier sogar noch übertriebener als in den Vorgängern und wirft daher umso mehr die Frage auf, wie viele der real wirkenden Szenen gestellt sind. Doch wenn auch nur ein Fünkchen Wahrheit enthalten ist, so dient dies als ein weiterer Beweis für die Dummheit des gemeinen US-Amerikaners. Nicht, dass wir Deutschen da schlauer wären, aber uns hält einfach niemand so gekonnt den Spiegel vor wie Sascha Baron Cohen in einer seiner zahlreichen Rollen. Wie in allen Filmen des Entertainers gilt auch hier: Bitte keinesfalls in der deutschen Fassung sehen, wenn nicht die Hälfte des Spaßes flöten gehen soll.
7/10

Der letzte schöne Tag
Eine Frau verliert den Kampf gegen die Depression und nimmt sich das Leben. Es beginnt eine schwere Zeit für ihren Mann (klasse: Wotan Wilke Möhring) und die beiden Kinder.
Unglaublich, aber wahr: Von Anfang an nahm mich dieser Fernsehfilm der ARD sofort gefangen und hielt das hohe Niveau bis zum Schluss. Was die Darsteller zeigen, ist so glaubwürdig, völlig frei von Klischees und übertriebenem Druck auf die Tränendrüse. „Der letzte schöne Tag“ ist ein tieftrauriges Drama, das das Leiden einer entzwei gerissenen Familie auf realistische Art und Weise aufzeigt und außerdem durch ein Gedicht von Mascha Kaléko den intensivsten Momenten zusätzliche Tiefe verleiht. Respekt an die Produzenten´, derart ehrliche und mutige deutsche Filme gibt es viel zu selten!
9/10

Infernal Affairs
Wie du mir, so ich dir: Frei nach diesem alttestamentarischen Motto schleust ein Drogenbaron einen seiner Leute undercover bei der Polizei ein – und hat doch selbst einen Cop in seinen Reihen. Beide Spitzel wissen von der Existenz des anderen – die Frage ist nur, wer wen zuerst enttarnt…
Die in Hongkong produzierte Vorlage des Hollywood-Thrillers „Departed – Unter Feinden“ ist zwar eine Stunde kürzer als ihre Kopie, kann aber dennoch überzeugen: Die Charaktere werden ausreichend eingeführt, nach dem verwirrenden Anfang kann man auch die einander optisch ähnelnden Maulwürfe auseinander halten – das gelang mir bei „Departed“ nur mit Mühe. Die Schauspieler machen einen guten Eindruck, ebenso Kulisse, Regie und Drehbuch. Ein wirklich gelungener  Auftakt der „Infernal Affairs“-Trilogie.
8/10

Black Box
Ein Mann liegt nach einem schweren Autounfall tagelang im Koma. In der Aufwachphase murmelt er scheinbar sinnbefreite Wörter und Satzfetzen vor sich hin, die eine Krankenschwester notiert.  Nun gilt es, mit diesen Brocken das eigene Gedächtnis aufzufrischen, doch ist er dazu auch von der Hilfe seiner Vertrauten und Ärzte abhängig…
Was klingt wie ein typischer Amnesie-Thriller, ist ein optisch wie erzählerisch interessanter Streifen, der dank des guten Casts und gelungener Story-Wendungen einiges an Spannung aufbaut. Erfreulicherweise halten sich bei der französischen Produktion auch die genretypischen Logiklöcher in Grenzen, lediglich der finale Twist wirkt konstruiert und ist ein wenig enttäuschend. Nichtsdestotrotz ist „Black Box“ ein sehr sehenswerter Film geworden, der durch seinen visuellen Stil genauso überzeugt wie mit der vorhandenen Substanz – eine Seltenheit im Bereich der Psychothriller.
7/10

Euch juckt es in den Fingern? Dann immer raus damit, ich freue mich über jeden Kommentar!
Bildrechte: Ascot Elite, Universal, WDR/Willi Weber, MC One, Splendid

4. Januar 2012

Film-Quickie: Von Göttern, Drähten und Hundezähnen

Besten Dank an meat und DerFrank für die Kommentare zum ersten Film-Quickie! Tatsächlich bestätigte mich eine dort aufgeworfenen Frage im Plan, das Bewertungssystem umzustellen: Zumindest bei den Kurzkritiken werde ich von Zehntel-Schulnoten auf ein einfaches Zehnersystem ohne Kommazahlen umstellen. Zehn Punkte gibt es nur für sensationell gute Produktionen, zwischen null und vier Punkten sollte man dagegen besser gebührenden Abstand wahren. Auch im heutigen Fünferpack sorge ich für ausreichend Abwechslung, indem ich einer Serienstaffel ein Kino-Drama, einen Western-Abgesang, einen Thriller und einen mehr als außergewöhnlichen Independent-Streifen zur Seite stelle. Nach der Lektüre freue ich mich über eure Meinung zu den Filmen und dem neuen Wertungssystem.

Der Gott des Gemetzels 
Zwei Ehepaare treffen sich, um ganz gesittet die Streitigkeit ihrer jeweiligen Söhne zu klären, die zu einer dicken Lippe und zwei abgebrochenen Schneidezähnen führte.
Dabei spielt sich alles wie in Yasmina Rezas Drama „Le Dieu du Carnage“, das zuvor nur im Theater zu sehen war, in einer Wohnung ab. Christoph Waltz und Kate Winslet treffen dabei auf John C. Reilly und Jodie Foster, die alle auf ihre Weise dazu beitragen, das einstmals kultivierte Schlichtungsgespräch im Fiasko enden zu lassen. Dabei überzeugen Dialoge sowie Gestik und Mimik des Mimen-Quartetts derart, dass der Zuschauer ein ums andere Mal herzhaft lachen muss und zu keiner Zeit einen Szenenwechsel wünscht – höchstens, um sich und den Charakteren eine Pause zu gönnen. Doch die gibt es nicht, und so darf Roman Polanski nach Herzenslust streiten, schlichten, beleidigen und sogar reihern lassen. Ein großer Spaß – nicht nur für Anhänger des Programmkinos.
8/10

Erbarmungslos
Einem Schweinebauer geht das Geld aus – also besinnt er sich auf seine wenig ruhmreiche Vergangenheit, greift zur Flinte und begibt sich auf Kopfgeldjagd.
Clint Eastwood stimmt einen klasse inszenierten Abgesang auf das Western-Genre an: Es sind die alten Haudegen, die den Ton angeben, nicht die schießwütigen Jungspunde. Eastwood, Freeman und Hackman spielen so souverän wie gewohnt, man nimmt ihnen ihre Sorgen und Ängste ab. Es ist schön, einen Genrevertreter zu sehen, der nicht nur von Revolverhelden und Feiglingen erzählt, sondern dieses gewohnte Schema aufbricht. Wie fast immer gilt also auch hier: Was Clint Eastwood anpackt, das ist großes Kino! Im Vergleich zu seinen neueren Werken (etwa „Million Dollar Baby“ und „Gran Torino“) fehlt in „Erbarmungslos“ dennoch der letzte Feinschliff, die tiefe Dramatik, das gewissen Etwas. Zu oft denkt man, dass einfach mehr möglich gewesen wäre…
7/10

The Wire – Staffel 1
Realistisch, komplex, packend, dramatisch, vielschichtig, kompromisslos, humorvoll, genial: Viele Attribute ließen sich für die erste Staffel der „besten Serie der Fernsehgeschichte“ (nach Meinung u.a. von FAZ, TIME Magazine und The Guardian) finden. Wichtig ist aber vor allem, dass alle tatsächlich zutreffen! Und auch ich wurde überzeugt: „The Wire“ ist tatsächlich die beste TV-Serie aller Zeiten, trotz „Twin Peaks“, „The Sopranos“ und vieler weiterer richtig guter Konkurrenten. Denn so nah an die Wirklichkeit der Polizeiarbeit in einem vom Drogenhandel bestimmten Stadtteil Baltimores kommen selbst die aufwändigsten Dokumentationen noch nicht mal im Ansatz.
Besonders an der der Serie ist, dass beide Seiten intensiv beleuchtet werden: Die korrupten Mühlen der „ach so guten“ Polizei und die vermeintlich bösen Drogendealer. Dabei verschwimmen Schwarz und Weiß, Gut und Böse auf so perfekte Art und Weise, dass man als Zuschauer manchmal nicht weiß, zu wem man mehr hält. Die Schauspielersind bis auf ganz wenige Nebendarsteller äußerst glaubwürdig, weil ihnen eine unglaubliche Tiefe verliehen wird. Diese wird aber erst nach und nach aufgebaut und ist anfangs höchstens zu erahnen. Dazu kommt seltener, aber sehr passender Humor, das Gefühl für den perfekten Moment, bahnbrechende Dialoge, später sogar richtig beklemmende und intensive Spannung. Das alles ist ganz weit weg vom Hochglanz-Profiling à la CSI – und damit um Welten besser. Wenn es etwas zu bemängeln gibt, dann die Tatsache, dass die Serie trotz aller Bemühungen bei der Erstellung der deutschen Synchronfassung nur im englischen Originalton zu empfehlen ist. Dennoch: Jeder, der sich gerne auf intelligente Weise in seinen Bann ziehen lassen möchte, muss den dreizehn etwa einstündigen Episoden der ersten Staffel von David Simons Meisterwerk "The Wire" eine Chance geben.
10/10

Dogtooth
Drei inzwischen erwachsene Kinder werden von ihren Eltern auf eine absolut abartige Art und Weise erzogen: Sie haben nie das elterliche Anwesen verlassen, ihnen wurde gar beigebracht, dass dies auch nur mit dem Auto möglich sei. Katzen seien bestialische Raubtiere, die liebend gerne Menschen zerfleischen und der Sinn des Lebens besteht im Sammeln von Stickern, die man für Erfolge in spaßigen Spielen wie „Wer hält im Pool länger die Luft an“ erhält…
Der griechische Film schert sich nicht um Sehgewohnheiten und ethische Grundsätze bezüglich der Themen Erziehung, Inzest und Menschenwürde. Das verlangt dem Zuschauer einiges ab, ist aber auch hochinteressant. Würde der Film nicht so unvermittelt enden, wäre hier sogar mehr drin gewesen. Aber auch so gibt es für den Mut und das völlig andere Seherlebnis eine verdientermaßen hohe Wertung.
8/10

La Linea – The Line
Ein Auftragsmörder (Ray Liotta) reist mit dem Ziel nach Tijuana (Mexiko), den brutalen Nachkömmling des erkrankten Drogenbosses (Andy Garcia) umzulegen.
Erst gegen Ende wird klar, wer hier etwas gegen wen im Schilde führt. Die letzte Viertelstunde ist dann auch mit Abstand der beste Teil des Thrillers, der ansonsten vom gut aufgelegten Ray Liotta  und den Aufnahmen der mexikanischen Stadt lebt, welcher die Produktion auch gewidmet ist. Ein wenig mehr Mut, ausgetrampelte Genrepfade zu verlassen, hätte diesem Thriller vielleicht mehr eingebracht als die durchschnittlichste aller Wertungen.
5/10

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